wie man im IB-Forum sieht, kann einem recht unerwartet ein Patent einen Strich durch die Rechnung machen. D.h. man ist urplötzlich von Lizenzforderungen bedroht oder muss ein Produkt "umstricken", um das Patent zu umgehen. Möglicherweise muss man ein Feature des Produkts gar völlig entfernen. Besonders kritisch ist das im Bereich von Software.
Darum möchte ich mal eine Diskussion zum Thema Patente anfangen. Im Prinzip könnte man über Patente allgemein diskutieren, immerhin hat das gesamte Patentwesen in der Zwischenzeit schon so manche seltsame Blüte getrieben. Aber hauptsächlich will ich mich auf den Bereich Software-Patente konzentrieren.
Die Grundlagen
Ich denke wir sind uns einig darüber, dass wenn jemand ein Produkt mit viel Aufwand entwickelt hat, dass dann nicht anschließend jeder hergehen darf und einfach selbst dieses Produkt kopieren und selbst verkaufen darf. Das heißt ein Entwickler muss irgendeinen Schutz haben, der ihn vor Plagiaten schützt.
Hier gibt es im Prinzip zwei unterschiedliche Ansätze: Das Patent und das Urheberrecht.
- Patent
Derjenige, der zuerst eine Neuentwicklung ("Erfindung") beim Patentamt anmeldet, bekommt das Patent zugeteilt. Vorausgesetzt, es erfüllt gewisse Mindestanforderungen, nämlich dass es sowas vorher noch nicht gab und eine gewisse "Erfindungshöhe" muss vorhanden sein, es darf also nicht nur ein trivialer Schritt sein, den jeder sowieso machen würde, wenn er sich mit dem Thema befasst.
Ein erteiltes Patent ist de facto ein Monopol. Der Patentinhaber hat alleine das Recht, dieses Produkt zu erzeugen. Will jemand anderes ein vergleichbares Produkt herstellen, dann kann der Patentinhaber ihm dies erlauben (eine "Lizenz" erteilen, meist gegen nicht unerhebliche Bezahlung), oder schlichtweg verbieten. Ein Patent wird heute auf maximal 20 Jahre erteilt, danach ist das Produkt nicht mehr geschützt. Patente werden auch oft auf die reine Idee vergeben, ohne dass ein konkretes Produkt dahinterstehen muss. - Urheberrecht ("Copyright")
Jemand, der ein Produkt entwickelt hat (also dessen Urheber ist), hat das Recht an diesem Produkt. Direkte Kopien sind nicht zulässig, es sei denn, der Urheber erlaubt dies in Form einer Lizenz. Jedoch ist es im Gegensatz zum Patent sehr wohl möglich, mit einer kompletten Eigenentwicklung ein völlig ähnliches Produkt herzustellen (nachzuimplementieren). Naturbedingt kann mit dem Urheberrecht nur ein konkret existierendes Produkt geschützt werden, denn nur dann gibt es einen Urheber. Reine Ideen können so nicht geschützt werden.
Ich habe mich wirklich schon sehr ausgiebig mit diesem Thema befasst und bin als Folge strikt gegen Patente. Meines Erachtens reicht ein Schutz, der vor einer plumpen direkten Kopie schützt, völlig aus, also das Urheberrecht. Jemand der durch eigene Anstrengung zum gleichen Ergebnis kommt, der sollte genauso wie der Erstentwickler das Recht zur Herstellung haben. Oft liegen Ideen ja in der Luft, man sagt auch "die Zeit ist reif für diese Entwicklung". Warum soll dann nur der, der zufällig als erster beim Patentamt steht, darauf ein Monopol bekommen? Wenn Pharmafirmen 10 Jahre an einem Produkt gegen Aids forschen und eine Firma eben ein paar Wochen früher fertig ist und zum Patentamt geht, warum sollen all die anderen Firmen dann all ihre jahrelange Forschung umsonst gemacht haben? Das ist doch unfair!
Die Grundidee der Patente war, dass Ideen nicht mit ihren Erfindern verloren gehen, wenn diese sterben und niemandem ihre Geheimnisse verraten haben. Darum geht mit der Erteilung eines Patents auch die Veröffentlichung der Idee einher. Dafür sollte der Inhaber eine Zeit das Recht haben, alleine diese Idee anwenden zu dürfen.
In neuerer Zeit werden Patente aber immer mehr als direkte Einnahmequelle und zur Marktabschottung benutzt. Immer mehr Firmen kaufen Patente von anderen Firmen auf und verklagen dann andere Hersteller, die evtl. das Patent verletzt haben. Selbst stellen sie gar kein entsprechendes Produkt her, die einzige Einnahme dieser Firmen sind die Lizenzgebühren, die sie von anderen, produktiven Firmen einklagen und diese dadurch behindern.
Firmen, die viele Patente haben, können andere Firmen daran hindern, in ein entsprechendes Marktsegment einzudringen, denn durch die Patente wird es sehr schwierig, überhaupt noch ein Gerät in diesem Markt herzustellen, das *nicht* gegen mindestens eins dieser Patente verstößt. Speziell kleinen Firmen, die naturbedingt wenig Patente haben, fällt es dadurch schwer, sich gegen große Firmen mit vielen Patenten zu behaupten. Aus diesem Grund sind vor allem die großen Firmen, die sog. "Global Players" daran interessiert, dass Patente in möglichst allen Lebenslagen eingeführt werden. Speziell drängen diese zur Zeit durch allerhand politische Lobbyarbeit massiv darauf, dass Software-Patente in Europa möglich und gerichtlich durchsetzbar werden, wo dies bisher (im Gegensatz zur USA) offiziell noch nicht möglich ist. Dennoch wurden von den europäischen Patentämtern schon schätzungsweise 30000 Patente auf reine Software-Verfahren erteilt, alles ohne rechtliche Grundlage.
Aus meiner Sicht behindern Patente aber eher die Innovation. Anstatt sich der Produktentwicklung zu widmen, muss man stattdessen viel Zeit damit zubringen
- zu prüfen, ob man ggf. ein schon erteiltes Patent verletzt
- eigene Ideen patentieren zu lassen
- zu prüfen, ob andere Firmen eigene Patente verletzen
- rechtliche Auseinandersetzungen durchzufechten
Dazu kommen noch Probleme mit der Patenterteilung an sich: überlasteten Patentanwälten, die es leichter haben, ein Patent zu erteilen, als es abzulehnen, schlüpfen jede Menge Trivialpatente durch, die dann nur Ärger machen (wie das im IB-Forum beschriebene Patent der Binärsuche zum Überspringen eines unerwünschten Bereichs bei einer Videoaufnahme). Und die schon erwähnten Patenttrolle, die sich zum Ziel machen, allen an den Karren zu fahren und Geld rauszuquetschen, ohne selbst kreativ und innovativ mit eigenen Produkten die Welt weiterzubringen.
Auch gibt es immer mehr Bereiche, bei denen es sich gar nicht um Erfindungen handelt, und trotzdem Patente erteilt werden. Zum Beispiel werden auf das menschliche Genom zur Zeit die Patente erteilt. Hallo? Da wurde nichts erfunden, sondern nur entdeckt! Oder genmanipulierte Pflanzen, die sich selber nicht mehr fortpflanzen können, damit Bauern sich ihr Saatgut fürs nächste Jahr selbst einsammeln können, sondern jedes Jahr immer wieder neu beim "Hersteller" kaufen müssen. Oder Pharmafirmen, die aufgrund ihrer Monopolstellung durch die Patente auf Arzneimittel horrende Preise verlangen und lieber Patienten sterben lassen, als das Medikament zu lizenzieren und so billigere Hersteller zu ermöglichen. Das sind Auswüchse des Patentwesens, die geradezu verabscheuungswürdig sind.
Auch die Kosten zur Beantragung, Überwachung und ggf. gerichtlichen Durchsetzung eigener Patente ist nicht zu unterschätzen. Das Urheberrecht hat man automatisch, ohne dass dazu aufwändige Anträge oder finanzielle Mittel notwendig sind. Welche kleine Firma kann sich denn schon den ganzen finanziellen und personellen Aufwand für die Patentsachen leisten? Folglich profitieren große Firmen deutlich mehr von Patenten als kleine Firmen, was das Ungleichgewicht im Markt nochmal zusätzlich verschiebt.
Darum ist meine Aussage: Weg mit Patenten. Und ja keine neuen Patentarten mehr einführen, erst recht nicht auf Software.
Was meint ihr? Gibt es weitere Gründe pro oder contra Patente? Was ich bisher gesagt habe ist ja nur ein kleiner Abriss, ein Überblick. Gerne will ich versuchen, jedes Pro-Argument feinsäuberlich zu widerlegen. Oder kann mich doch einer von der Notwendigkeit von Patenten überzeugen? Auf zur Diskussion!
Viele Grüße,
Hagge